Der Todesengel am Lager eines Tyrannen

[250] An die Grafen Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg.


1774.


Schlaf deinen letzten Schlummer, Tyrann! Mit ihm

Fleucht Ruh auf ewig! Träume zum letztenmal

Dich glücklich! Ha! Du lachst! Erschien dir,

Noch ungeboren, ein neuer Frevel?


Lach nur, und zwing die Hölle zum Lachen mit!

Bald wird sie heulen! stürzen vom Throne bald,

Den du, mit ihr im Bund', auf Schädeln

Freier, verratener Völker bautest!


Ihr Blut zu trinken, zogst du die Menschheit aus,

Schufst Tier' aus Menschen, daß sie dir huldigten!

Da krochen um den Thron sie, bebten

Vor des erschaffenen Gottes Allmacht![251]


Wie Meeresstrudel gierig das Schiff verschlingt,

Und wieder ausspeit: Also versammelte

Dein Thron die Laster, Ströme stürzten

Sich in den hallenden weiten Abgrund!


Daß deine Burg ein brausender Becher ward

Voll heißer Lüste, der sich mit wildem Strom

In alle Land' ergoß, daß thränend

Engel ihr heiliges Antlitz wandten!


Von dir vergiftet, schleichen Gerippe dort

Auf allen Straßen, fluchen im Tode dir,

Wenn meine Brüder sie zur Rache

Führen in deiner Vertrauten Abgrund!


Schau, vor den Mauren schmachtet das Land umher;

Verdorrte Bäume starren gen Himmel auf;

Im Weinberg stehn verwaiste Stäbe,

Blühende Disteln auf ödem Fruchtfeld!


Denn unterm Roß des Jägers erstirbt die Saat;

Und was der Huf des rasenden Heers verschont,

Zerwühlt das Wild, das deiner Mordlust

Du für den kommenden Morgen hegtest!


In leeren Hütten schmachtet – du raubtest ihr

Den Mann – die Witwe; weinende Kinder flehn

Um Brot, das du, dein Vieh zu nähren,

Ihr aus den zitternden Händen rissest!


Dort jammern nackte Pflüger am rostenden,

Stierlosen Pfluge! Jener mit fremdem Stier

Pflügt schaudernd seines Sohns Gebein auf,

Den in der rasenden Schlacht du würgtest! –


Wie oft, Tyrann, erhub ich mein Schert! Wie oft

Gab ich's dem Sohn der Freiheit! Er blutete!

In Wolken hüllt' ich mich, und blickte

Sehnend der säumenden Rach' entgegen![252]


Sie kömmt! sie kömmt! Erwache! Schon ist sie da!

Laut hebt im Himmel blutige Klage sich!

Erwache! Ha! Du röchelst! Weit thut,

Dich zu empfahn, sich der Hölle Schlund auf!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 250-253.
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