Auf die Leiche eines Regenten

[313] Seid ihr, Götter dieser Erde,

Seid ihr Menschenstaub, wie wir?

O! so zittert! Der Gefährte

Eurer Größe lieget hier.

Steigt von goldnen Stufen nieder

Zu den Särgen eurer Brüder;

Denkt beim Leichenpompe heut

Auch an eure Sterblichkeit.


Habt ihr, wenn der junge Waise

Vor euch klagte, auch gehört?

Und den fetten Bauch vom Schweiße

Einer Wittwe nie genährt?[313]

Seid ihr willig, reiche Sklaven

Schwarzer Laster zu bestrafen?

Helft ihr auch dem Tugendfreund,

Wann er hülflos vor euch weint?


Fröhnt ihr selber nicht den Lüsten,

Die ihr scharf an andern straft?

Seid ihr Bürger, seid ihr Christen?

Seid ihr weis' und tugendhaft?

Sieht man nie von stolzen Höhen

Euch verächtlich niedersehen?

Kennt ihr eure Ritterpflicht? –

O! so kommt, und zittert nicht.


Denn hier schlummert ein Regente,

Der Verlaß'nen Gutes that,

Und die richterlichen Hände

Nie mit Blut gefärbet hat,

Der auf Lasterthaten blitzte,

Und der Wittwen Recht beschützte,

Der dem Waisen und der Noth

Willig seine Hände bot.


Unpartheiisch, wie der Sonne

Warmer, segenschwangrer Strahl,

Der den Eichen strömet Wonne,

Wie dem Veilchen in dem Thal,

Strahlt' von seines Stuhles Höhen

Allgemeines Wohlergehen

In der Reichen Marmorhaus,

Wie in arme Hütten aus.


Noch in halbentnervten Händen

Trug er den Regentenstab,

Und das Schwert an schlaffen Lenden,

Das Gerechtigkeit ihm gab.

Und, wie Helden, wenn sie sterben,

Sprach er, ohne zu entfärben:

Gott, hier ist die schwere Last,

Die du mir vertrauet hast.[314]


Aufgelöst in Thränen schwanken

Arme hinter seiner Bahr;

Stimmen der Verlaßnen danken

Ihm, der ihre Stütze war.

Goldne Zierde deines Standes,

Vater unsers Vaterlandes,

Unser unerkauftes Ach

Fliege deiner Seele nach.


Große, hebt die Angesichter

Ueber jene Sternenbahn!

Dorten trefft ihr euren Richter,

Wie der ärmste Bettler, an,

Ihn, vor dessen Ungewittern

Auch der Cedern Wipfel zittern.

Drum so übt noch in der Zeit

Tugend und Gerechtigkeit.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 313-315.
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