Die deutschen Verbannten in Brüssel

[245] Und in den Kaffeehäusern von Brüssel,

Da saßen sie und weinten

Und hingen die Paletots an die Wände

Und tranken Mokka mit Zucker und Kognak

Und seufzten und jammerten sehr – wenn

Dein sie gedachten, germanische Heimat!


Verbannte waren's. Der Zorn des

Sechsunddreißigeinigen deutschen

Bundestag-Gottes verstieß sie –

Stieß sie hinaus, die Geächteten,

Lieblos hinaus in des Auslands

Weiche, sammetgepolsterte Sessel.


Sinnend schaut ich sie oft; und entsetzt dann

Hört ich, wie laut sie zu klagen

Erhoben: »O weh uns! Nimmer

Essen wir jetzt mehr deinen

Pumpernickel, Westfalen! und

Posen, deine Kapusta!


Nicht mehr rauschen die Fichten uns deiner

Seligen Steppen, o Uckermark! Nicht mehr

Fühlen den Biß wir deiner

Kasernen-Wanzen, o Preußen! Und nicht mehr

Sinken entzückt wir an deine

Gänsebrüste, ambrosisches Pommern!
[245]

Nicht mehr tönet der Männer der

Bernsteinküst liberales Gejammer

Erfreulich ins Ohr uns! – Nicht mehr

Werden wir Dome erbaun und

Betrinken mit euch uns, ihr

Heiligen Kölner!


Ferne die Heimat! Ferne ja alles, was

Reiz noch dem Leben verlieh und das Dasein

Köstlich machte – und traurig

Sitzen wir, ach, wir großen, blonden

Teutonen nun unter den kleinen

Bräunlichen Belgiern!


Müssen Burgunder trinken und

Leid'gen Champagner und Austern

Essen, Ostender, Fasanen und tête de

Veau en tortue und was sonst noch

Bietet die Fremde an kaum wohl

Genießbaren Sachen!


Müssen statt lieblich deutscher

Vergißmeinnicht-Kinder des Auslands

Schwarzumlockte brennende

Rosen jetzt küssen und

Tanzen Cancan am Sabbat, wo sonst wir

Brünstig gebetet in Odins ragenden Tempeln.
[246]

Müssen allein jetzt wandern den dorn'gen

Lebensweg, nicht länger bewacht von

Väterlichen Gendarmen, die gern uns

Stets daheim geschützt vor der Pest

Moderner Ideen und

Hochverrätrischer Tollheit!


Ach! Verlassen sind wir; und ihr nur

Nehmet noch Anteil an uns, ihr teuren

Vaterländ'schen Spione und du, o

Repräsentant der preuß'schen Nation, du

Hehrer, gewaltiger Graf, du

Henckel von Donnersmarck!!« –


Also sangen sie wohl in Brüssel, die

Deutschen Verbannten; – ich hört sie

Klagen im Café des Arts und

Im Café Suisse und im Café der Tausend

Säulen – und Wehmut

Drang durch die liebende Brust mir.
[247]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 245-248.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon